Guenter Mallmann – Fachjournalist im DJV

Mit Tempo 50 über die Adria

Moderne Großraumfähren befördern bis zu 1.800 Passagiere und 1.000 PKWs - Sicherheit durch computergestützte Technik und redundante Systeme - die Dieselmaschinen kommen aus Augsburg

Foto: Verladerampe Link: Vollbild

In Viererreihe rauschen Pkws und Laster über die Rampen der Pasiphae in Igoumenitsa an Land. In 30 Minuten ist der Spuk vorbei. Ab jetzt beginnt die müsame Fahrt über die Pässe Griechenlands.

Seit die Fahrt über den berüchtigten jugoslawischen Autoput praktisch nicht mehr möglich ist, hat sich der Verkehr nach Griechenland und weiter in den Vorderen Orient auf die Fährlinien zwischen Italien und Griechenland verlagert. Die Folge: die wenigen alten - und teilweise auch altersschwachen - Schiffe sind ersetzt worden durch eine ganze Armada schneller und riesengroßer Fähren. Beispiel: die erst vor zwei Jahren in Dienst gestellte Pasiphae und die baugleiche Ikarus der Reederei Minoan Lines, die zur Zeit wohl komfortabelsten Schiffe auf der Adria-Rennstrecke.

Vor Jahren noch dauerte die Überfahrt vom italienischen Ancona zum nächstgelegenen griechischen Fährhafen Igoumenitsa 24 Stunden. Pasiphae und Ikarus, beide gebaut auf der norwegischen Rissa-Werft, durchpflügen diese Strecke in 15 Stunden. Marschfahrt: 28 Knoten (gleich 52 Km/h) und Spitze 31 Knoten (gleich 57 Km/h). Aber es ist nicht nur ein Gewinn von neun Stunden, sondern auch ein unvergleichliches Plus an Komfort und Sicherheit, was diese Neubauten von den alten Kähnen unterscheidet. Dafür hat die in Heraklion, Kreta, beheimatete Reederei auch jeweils ungefähr 190 Millionen Mark investieren müssen.

Ancona, nachmittags gegen 18.30 Uhr. Der letzte Sattelschlepper ist die vierspurige Rampe vom Schiff auf den Kai hinunter gerumpelt, ab jetzt geht es umgekehrt. PKWs, Reisemobile, Wohnwagengespanne, Geländewagen mit riesigen Bootstrailern am Haken, Laster mit und ohne Hänger kriechen über die Rampe hinauf in die Autodecks der Pasiphae. Hektik und Geschrei der weißgekleideten Crew-Mitglieder. Um 20 Uhr ist Abfahrt, Pünktlichkeit ist erklärtes Ziel.

Aufzüge bringen die Passagiere hinauf auf Deck 5. Dort stehen an der Rezeption die Stewards bereit, um die Gäste durch ein Labyrinth von schmalen Gängen und Treppen zu ihren Kabinen zu begleiten. Für viele ein Weg fast ohne Wiederkehr. Kein Wunder angesichts der Länge des Schiffes von 200 Metern, seiner Breite von 27 Metern und mehr als 700 Kojen in 200 Kabinen, verteilt über vier Decks.

Fast auf die Minute genau dann ein leichtes Vibrieren im Rumpf. Die armdicken Festmacher surren über die Winden, das Schiff legt ab. Im untersten Deck hämmern vier riesige Dieselmaschinen mit zusammen 44.500 kW (gleich 60.500 PS). Jenseits der Hafenmole nimmt das Schiff Fahrt auf.

Die vier Maschinen kommen aus Augsburg. Hergestellt hat diese "Mittelschnellläufer" die Firma MAN. Es sind die größten Diesel des deutschen Herstellers. Ein jeder über elf Meter lang und 200 Tonnen schwer. Es sind Maschinen der letzten Generation, auf vielen Schiffen im Einsatz und an Land als Antriebseinheit für Stromgeneratoren beliebt. MAN kann in diesem Leistungsbereich weltweit eine Spitzenposition für sich reklamieren.

Konstante Drehzahl - unabhängig vom Tempo

Hochgerechnet auf einen 24-Stunden-Tag unter Volllast verbrauchen die vier Giganten 190 Tonnen Schweröl bei einem spezifischen Verbrauch von 175 g/kW/h. Mit einem solchen Wirkungsgrad liegen die MAN-Triebwerke eindeutig günstiger als zum Beispiel Gasturbinen. Zusätzlich müssen im gleichen Zeitraum ca. 1,1 Tonnen Schmieröl nachgefüllt werden. Trotz der Tankkapazität von 400 Tonnen bunkern Pasiphae und Ikarus bei jedem Stop in Patras Schweröl nach - die kurz bemessene Liegezeit würde nicht ausreichen, damit zwei Reisen abzuwarten.

Die Viertakt-Reihenachtzylinder (Kolbenhub: 64 cm, Kolbendurchmesser: 58 cm) laufen mit einer konstanten Drehzahl von 428 rpm (Umdrehungen pro Minute) - unabhängig von der Geschwindigkeit. Diese "ideale" Drehzahl (Wirkungsgrad, Vibrationen, thermisches Verhalten...) wird erreicht durch eine Steuerung der Menge eingespritzten Kraftstoffs. Erst dann, wenn die Geschwindigkeit über Grund deutlich zurückgenommen werden soll, zum Beispiel beim Manövrieren im Hafen, kann die Drehzahl durch eine weitere Drosselung der Einspritzmenge bis auf 400 rpm reduziert werden.

Angesichts der für Hochseeschiffe extrem kurzen Hafenliegezeiten (jeweils etwa 150 Minuten in Ancona, Igoumenitsa und Patras) bringen es diese Maschinen auf gewaltige Jahreslaufzeiten. Dennoch steht eine Grundüberholung nur alle drei bis vier Jahre an (maximal 20.000 Betriebsstunden, was etwa einer Million Fahrtkilometer entspricht), dazwischen fallen nur kleine Überholungsarbeiten an. Etwa ein Austausch der Einspritzdüsen, die mit 1.500 bar den Kraftstoff in die Zylinder spritzen (was die common-rail-Diesel bei PKWs heute auch erreichen!). Oder die Erneuerung des obersten Kolbenringes nach ca. 12.000 Betriebsstunden. Immerhin drücken im Arbeitstakt 200 bar auf diese Verschleißteile.

Starten ist ein komplizierter Prozess

Wie werden solche Triebwerke gestartet? Es liegt auf der Hand, dass das nicht mit Elektrostartern wie beim Auto oder in der Freizeitschifffahrt geht. Die Großdiesel werden im Prinzip nie abgestellt. Wenn aber doch, ist das Anfahren ein komplizierter Prozess. Zunächst werden die Zylinder mit Dampf zehn Minuten lang angewärmt. Dann wird über ein besonderes Ventil Druckluft mit 30 bar in diejenigen Zylinder gepresst, deren Kolben gerade am oberen Totpunkt stehen. Dadurch werden andere Kolben nach oben gedrückt, sie verdichten die Luft bis zur Erreichung einer zündfähigen Temperatur. Erst dann wird Kraftstoff eingespitzt, die Maschine kommt in Schwung. Die Steuerung dieses Prozesses übernimmt natürlich der Computer.

Neben diesen vier Antriebsmaschinen verfügen die Minoan-Fähren noch über jeweils drei Hilfsaggregate mit je 1.320 kW (1.800 PS) von MAN. Diese Sechzylinder-Reihenmaschinen sorgen für den enormen Strombedarf, die Druckluft und die Klimatisierung dieser schwimmenden Städte.

Computer haben alles unter Kontrolle

Foto: Steuerstand Link: Vollbild

Der erste Maschinist Dimitri Vlamis trägt zwar noch einen blauen Overall, aber er macht sich die Finger nicht mehr schmutzig. Die vier Hauptmaschinen und die Hilfsmaschinen der Pasiphae "fährt" er mit Computermaus und Tastatur.

Gefahren werden die vier Hauptmaschinen und drei Hilfsdiesel von einem zentralen Steuerstand, der in seinen Dimensionen und seinem Layout eher an den Leitstand eines Großkraftwerkes erinnert. Der Erste Ingenieur rollt mit seinem komfortablen Bürostuhl durch ein Halbrund voller Bildschirme, Schalter und Tastaturen. Akustische und optische Signale zeigen an, daß an irgend einer Stelle ein Messwert über den programmierten Eingriffswert hinaus zu laufen droht. Der Ingenieur schaut sich den Verlauf an, befragt eventuell die in einer Datenbank abgespeicherten Vergangenheitsdaten und bestätigt in der Regel die Maßnahme, die der Computer vorschlägt, per Mausklick. Das Motormanagementprogramm hat alle Parameter im Blick und arbeitet absolut zuverlässig.

Im Umfeld der Maschinen selbst findet sich in der Regel kein Mensch. Alle irgendwie relevanten Werte werden von Messfühlern an jedem Zylinder separat abgegriffen und an das Programm zum Maschinenmanagement übergeben. Nockenwellen und Ventiltrieb sind wie bei Kleindieseln gekapselt. Vorbei die Zeit, als um stampfende Großdiesel herum ein Trupp von Maschinisten mit tropfenden Ölkannen ständig damit beschäftigt war, diese Teile zu schmieren. Insgesamt hat das technische Personal auf der Fähre eine Kopfstärke von 17 Mann (bei einer saisonal schwankenden Personalstärke von maximal 130 insgesamt).

Ein Back-up-System für den extremen Notfall

Die Computersysteme, im übrigen handelsübliche PCs, sind vernetzt und so ausgelegt, daß sie sich gegenseitig überwachen und Funktionen automatisch übernehmen, sobald ein System eine Macke hat. Sollte im äußersten Notfall gar nichts mehr gehen, gibt es ein in einem separaten Raum installiertes System mit Notstromversorgung (mächtige Akkumulatoren), das alle Funktionen (natürlich mit entsprechend langsamerem Antwortzeitverhalten) übernehmen könnte. Auch das ist automatisiert: der Backup-Computer verfolgt permanent alle Prozesse auf den vier aktiven Systemen und ist bereit, in Sekundenschnelle zu "übernehmen".

Mit der Betreuung der Maschinen ist der Wachhabende im Maschinensteuerstand nicht ausgelastet. Deshalb sind hier auch alle Überwachungssysteme für das Schiff zusammengefasst. Ungewöhnliche Rauchentwicklung in Kabine 614? Am Steuerstand gibt ein Horn Alarm. Der Wachhabende kann sich am Bildschirm sofort nähere Einzelheiten anzeigen lassen. "Da hat ein Passagier verbotenerweise in seiner Nasszelle geraucht", ist meistens die beruhigende Erkenntnis. Im Falle eines Großereignisses allerdings handelt der wachhabende Ingenieur sofort. Dann macht er per Mausklick die Schotten, die das Schiff in drei Sektionen aufteilen, rigoros dicht. Sicherheit ist erstes Gebot an Bord.

Verstellpropeller anstatt riesiger Getriebe

Doch zurück zum Antrieb. Je zwei Maschinen sind über hydraulische Kupplungen mit einem Reduktionsgetriebe verbunden, an das die Propellerwelle angeflanscht ist. Das heißt, daß diese Schiffe eine Doppelschraubenanlage besitzen. Im Gegensatz zu Schiffen aus der Sportschifffahrt verfügen die Minoan-Fähren (und vergleichbare moderne Schiffe) nicht über Wendegetriebe. Diese wären auch groß wie Doppelgaragen. Dafür sind die beiden Schraubenanlagen mit Verstellpropellern ausgerüstet. Durch ein Anpassen der Propellerkurve wird dabei die Marschgeschwindigkeit bestimmt, Leerlauf und Rückwärtsfahrt sind ebenfalls nichts anderes als definierte Stellungen der Propellerflügel.

Auf der Brücke gibt es nur High-Tech vom Feinsten

Foto: Brücke Link: Vollbild

Jorgo Xilouris, erster Offizier der Pasiphae, tut nur so, als täte er was. In Wirklichkeit steht der Computer am Ruder. Und dieses ist kein Rad, sondern ein Joystick.

Die wesentlichen Informationen über die Maschinenanlage stehen auch dem Personal auf der Brücke auf deren Monitoren zur Verfügung und natürlich auch die Joysticks zur Steuerung. Ebenso zeigt dort ein eigener Bildschirm die gleichen Sicherheitsinformationen an. Ein Brand in Kabine 614 würde also auch hier gemeldet. Für die Navigation verfügen solche Schiffe natürlich über alle technische Möglichkeiten, die zur Zeit verfügbar sind. Antikollisionsradar, GPS, elektronischer Kompaß, Autopilot, nichts fehlt und nichts ist nicht mindestens doppelt vorhanden - und sicherheitshalber auch über eine batteriegepufferte Stromversorgung abgesichert. Gesteuert wird, so denn von Hand eingegriffen werden muß, über einen Joystick. Das klassische Ruderrad findet sich nicht mehr im Brückenlayout. Im Hafen kann man darüber hinaus das Schiff von Ruderständen an der Backbord- oder Steuerbordseite fahren. Sie sind mit allen "Controls" ausgestattet. Maschinentelegraph und Sprechrohr gibt es nicht mehr, der Ingenieur am Maschinensteuerstand hat nichts mehr zu tun mit dem Manöver. Die Kommunikation mit Mannschaftsmitgliedern (zum Beispiel am Heck bei Anlegemanövern) erfolgt über kleine Funkgeräte auf verschiedenen Kanälen.

Querstrahlruder für erstaunliche Manövrierfähigkeit

Bei Manövern im Hafen hätten Schiffe dieser Größe unüberwindliche Schwierigkeiten, wenn sie nicht über sehr leistungsstarke Querstrahlruder verfügten. Das sind elektrisch angetriebene Propeller am Bug, die in einem Tunnel im rechten Winkel zur Längsachse des Schiffes drehen. Zusammen mit der Möglichkeit, die beiden Schrauben gegenläufig einzusetzen, erreichen solche Schiffe damit eine erstaunliche Wendigkeit selbst in kleinen Hafenbecken. Die Minoan-Schiffe verfügen über zwei Querstrahlruder. Damit ist es praktisch möglich, "auf dem Teller" zu drehen. Das heißt, dass das Schiff fast im Stand um 180 Grad herumgedreht werden kann.

Wer beim Anlegen in Ancona, Igoumenitsa oder Patras an der Reling steht, kann es trotzdem kaum fassen: Während die riesigen Heckklappen hydraulisch angetrieben schon heruntergleiten und die ersten Kapitäne der Landstraße schon ungeduldig ihre Motoren hochorgeln lassen, schiebt sich das Riesenschiff wie von Geisterhand geführt zentimetergenau an seinen Liegeplatz. Drei Minuten später rollen die ersten Wagen in Viererreihe von Deck. An der Backbordseite wird derweil schon Wasser, Proviant und Schweröl an Bord genommen. Die nächste Reise startet pünktlich in 150 Minuten.

© Günter Mallmann
Dezember 1999