Guenter Mallmann – Fachjournalist im DJV

Dem Wettbewerb um Jahre voraus

Die Syker Kreiszeitung hat einen einmaligen Stand in der Technik erreicht - Über rund 100 Kilometer breitbandige Verkabelung werden Texte, Bilder und Sprache transportiert - Höchste Sicherheit ist Bestandteil des Konzepts

Günter Mallmann

Freier Journalist, Düsseldorf

Beim gegenwärtig erreichten Stand in puncto Hochtechnologie wäre der nächste Schritt nicht mehr weit: der Übergang zur virtuellen Zeitung. Aber nein, das ist nicht geplant. Im Gegenteil: die Verlagsgruppe Kreiszeitung in Syke hat gerade in eine mächtige Vierfarb-Rotation investiert. "Wir sind technologisch vergleichbaren Verlagshäusern um mindestens drei Jahre voraus", sagt denn auch DV- und Organisationsleiter Horst Stuckenschmidt mit der gebotenen Bescheidenheit.

Das war einmal anders. Als Harald Schneider, Netzwerkspezialist bei Siemens in Bremen und Gesamtverantwortlicher in Syke, im Oktober des Jahres 1994 zum ersten Mal in den Verlag im Kleinstädtchen an der südlichen Peripherie der Freien Hansestadt kam, ging es "nur" um den Ersatz einer altersschwachen Telekommunikationsanlage. "Aber schon im Verlauf der Gespräche habe ich gemerkt, daß es nicht rund lief im Verlag. Da waren öfter Unterbrechungen unserer Verhandlungen, weil wieder mal jemand aus der Redaktion um Hilfe rief oder es Pannen bei der Anzeigenaufnahme gab, da war einfach Nervosität in der Luft", erinnert sich der gelernte Nachrichtentechniker mit 30 Jahren Siemens-Erfahrung. Und so brachte er die Rede auf das, was sein Haus als Solutionprovider dem Kunden darüber hinaus noch anbieten könne: die Verwirklichung eines verlagsweiten Netzes.

Die Verlagsleitung, allen voran Geschäftsführer Ernst-Jürgen Wenske, ließ sich begeistern, zumal Schneider höchst eloquent vorrechnete, daß das alles unterm Strich auch noch Geld sparen würde - ganz davon abgesehen, daß dieser Vorschlag hervorragend mit den Investitionsplänen des Verlages harmonierte. Die Rechnung ging auf. Der Verlag ist heute schlagkräftiger denn je. Insgesamt hat er sich den Aufbruch in das nächste Jahrtausend auch eine Kleinigkeit kosten lassen: Rund 30 Millionen Mark wurden investiert in Neubauten (darunter das gerade erst bezogene neue Verlagshaus) , Umbauten und technische Ausrüstung.

Syker Kreiszeitung? Nie gehört? Werfen wir einen Blick auf die "Kreiszeitung Verlagsgesellschaft mbH & Co KG". Eine Zentralredaktion in Syke erstellt täglich für fünf verschiedene Tageszeitungen der Gruppe den kompletten "Mantel", das sind die Seiten der "klassischen" Ressorts wie Politik, Wirtschaft und Feuilleton. Diese fünf Blätter kommen in insgesamt 14 verschiedenen Ausgaben, je nach Standort, auf den Markt. Das heißt, daß in den Regionen eigene Lokalredaktionen existieren, die das Geschehen vor Ort beschreiben und kommentieren. Wenn man die in der Zentralredaktion für alle Ausgaben erstellten Seiten und die Seiten der Lokalredaktionen aufeinanderlegt, ergibt das an einem ganz normalen Wochentag ein Gesamtpaket von rund 130 Zeitungsseiten. Des weiteren ist die Verlagsgruppe mit Anzeigenblättern und einer Vielzahl von Sonderprodukten und Beilagen am Markt. Unterm Strich spuckt die hochmoderne Rotation wöchentlich 900.000 Zeitungen aus. In ihrem Verbreitungsgebiet, groß wie das Saarland, sind die Syker Zeitungsmacher damit unangefochten Marktführer.

Die Vision: ein Netz für alle und für alles

Was hatte Siemens diesem Unternehmen zu bieten? Dazu Schneider: "Um es in einem Satz zu sagen: die optimale Vernetzung aller Abteilungen und Redaktionen unter einem einheitlichen Standard für alle Anforderungen zwischen Sprache, Text und Bild, zu geringsten Kosten und mit absoluter Sicherheit."

Im Mai 1995 begann die Realisierung des Konzeptes. Die erste Stufe sah vor, innerhalb eines halben Jahres sechs der 20 Außenredaktionen und Anzeigenannahmen zu vernetzen. Das Ziel konnte planmäßig erreicht werden. In der Zentrale wurde ein Kommunikationsserver Hicom 200 (später 240) installiert und die sechs Standorte wurden so verkabelt, daß an jedem Arbeitsplatz Normsteckdosen für Telefon, Fax, Drucker und PC verfügbar waren. Zwischen den Standorten wurden digitale Festverbindungen mit bedarfsgerecht unterschiedlichen Bandbreiten geschaltet. Die Standorte selbst wurden mit einheitlichen Siemens-PCs und einheitlichen Programmen sowie Telefonsystemen ausgestattet. In der Zentrale übernahmen leistungsstarke Siemens-Primergy-Server unter Windows NT die Datenhaltung. Eine Call Center Anlage sorgte dafür, daß kein anrufender Anzeigenkunde durch endloses "Besetzt"-Geklingel verärgert wurde.

Für die Verlagsleitung und die betroffene Mitarbeiterschaft waren die Erfahrungen so gut, daß wohl jeder und jede im Unternehmen kaum erwarten konnte, bis auch sein oder ihr Arbeitsplatz in die Gesamtverarbeitung einbezogen würde.

Zwei sternförmige Netze bringen Tempo und Sicherheit

Dieser Status ist inzwischen erreicht: Alle 20 Außenstellen "hängen" am Netz, kein Mitarbeiter, der zu seiner Arbeit ein Telefon, ein Fax, einen Drucker oder einen PC braucht, ist davon ausgenommen. Die Siemens-Mitarbeiter aus Bremen haben mit der engagierten Unterstützung ihrer Kollegen aus München ein System aufgebaut, das Schneider mit Stolz vorführt. "Da wir ja den laufenden Betrieb nicht unterbrechen konnten, hätten wir das niemals ohne die Rückendeckung durch Verlagsleiter und Organisationschef geschafft", wehrt er Bewunderung ab. Und: "Von München aus haben wir in all diesen Jahren jede nur denkbare Hilfe bekommen. Dafür können wir heute aber auch sagen, daß die gesamte Lösung hundertprozentig von Siemens kommt!" Das schließt die Integration von Ergänzungsprodukten von Cisco oder 3Com ausdrücklich ein.

Werfen wir einen Blick auf das Netz und das, was es "bringt" im Vergleich zur Vergangenheit.

Vereinfacht dargestellt, besteht das Festnetz aus zwei Sternen mit den Knoten Syke und Verden. Jeweils an zwei Außenstellen geht eine Leitung weiter zu einem weiteren Standort. Die Netzknoten sind über eine Hochgeschwindigkeitsleitung miteinander verknüpft. Diese Netztopographie ergab sich sowohl aus Kostengründen wie aufgrund geographischer Gegebenheiten. Etwa 55 Prozent des gesamten Gesprächsverkehrs des Verlages laufen über diese Standleitungen, was dem Unternehmen monatliche Einsparungen in einer Größenordnung von 14.500 Mark bringt. "Und auch wenn die Telekom ihre Preise weiter senken sollte, wird sich an diesem Betrag kaum etwas ändern, denn das Gesprächsaufkommen wächst unaufhaltsam", hat Schneider festgestellt. Dazu trägt unter anderem bei, daß innerhalb des Netzes die Kommunikation im Vergleich zu früher unvergleichlich viel schneller und bequemer verläuft. "Kaum ist die letzte Taste gedrückt, ist der Kollege auch schon an der Strippe", freut sich einer der Redakteure. Per Monitor kann übrigens der Netzwerk-Administrator die Auslastung überwachen. Daß 40 Prozent der Gespräche nach wie vor über die gebührenpflichtigen Wählleitungen der Telekom gehen, versteht sich von selbst: Journalisten recherchieren nun mal viel per Telefon...

Wie sieht es bei Texten und Bildern aus? Auch diese werden per Tastendruck über das Netz an den jeweiligen Bestimmungsort übermittelt. Dabei setzt das System, "natürlich", wischt Schneider eine entsprechende Frage mit einer Handbewegung vom Tisch, völlig selbsttätig ein effizientes Komprimierungsverfahren ein. Das heißt, daß selbst großformatige Farbfotos in wenigen Sekunden übertragen sind und Redakteure an verschiedenen Standorten sich gemeinsam über einen Text beugen können. Früher einmal wurden Manuskripte und Fotos von Boten über Land gefahren. Auch bei Nebel und Glatteis. Aber das muß lange her sein, denn es will sich keiner mehr so recht daran erinnern...

Das Call Center vermittelt zum nächsten freien Mitarbeiter

Zeitungen leben zu einem nicht geringen Teil vom Anzeigengeschäft. Da ist es sinnvoll, wenn sich zwischen Kunden und Mitarbeitern der Geschäftsstellen persönliche Bindungen einstellen. Auch das ist im System berücksichtigt. Bei einem Anruf in einer lokalen Anzeigenaufnahme "darf" es zunächst einmal einige Sekunden klingeln, falls alle Mitarbeiter gerade besetzt sind. Erst dann schaltet das Call Center unhörbar den Anruf weiter auf einen freien Arbeitsplatz - egal wo im weiten Netz. Auch hier kann der Systemadministrator am Bildschirm ein Reporting über das Geschehen abfragen. Falls sich dabei ergeben sollte, daß man die Geduld der Anrufer unterschätzt hat, kann oder könnte er das System so einstellen, daß selbst der ungeduldigste Kunde noch nicht aufgelegt hat, bis in Diepholz (Diepholzer Kreisblatt), Sulingen (Sulinger Kreiszeitung) oder Wildeshausen (Wildeshauser Zeitung) jemand abgehoben hat. "Ich glaube aber, daß sich hier inzwischen eine gesunde Balance eingespielt hat", meint der Projektleiter.

Redaktionsschluß ist kurz vor Mitternacht

Zeitungen sind verderbliche Produkte. Je aktueller, desto besser. Und morgen gerade noch gut genug, um einen Fisch einzuwickeln. Das heißt, daß Zeitungen um einen möglichst späten Redaktionsschluß kämpfen. Da hat die schnelle Übermittlung von Text, Bildern und Layout per Leitung im Verein mit computergestützten Methoden in der Druckvorstufe dem Verlag einen nicht zu überschätzenden Vorsprung gebracht. In Syke kann eine wichtige politische (oder sportliche!) Nachricht noch um Mitternacht "ins Blatt gehoben" werden. Wer Zeitungen von innen kennt, weiß, wie sehr es die Laune eines Redakteurs hebt, wenn er bei der morgendlichen Lektüre des Konkurrenzblattes feststellt, daß die lieben Kollegen es nicht mehr geschafft haben, die eine oder andere wichtige Nachricht "mitzunehmen". "Sein" Blatt aber hat. Mit anderen Worten: Das Netz hat sogar Rückwirkung bis hin zur Identifikation des einzelnen Mitarbeiters mit dem Produkt!

Sicherheit auf drei Wegen

Das Thema "Sicherheit der Verarbeitung" hat im Zeitungswesen höchste Priorität. Undenkbar, daß morgen früh keine Zeitung im Briefkasten steckt, weil irgendwo zwischen Achim (Achimer Kreisblatt) und Verden ("Verdener Aller-Zeitung") ein Bagger das Festnetz-Kabel aus der Erde gerissen hat. Die von Siemens realisierte Lösung hat diesen Fall bedacht. Neben dem zentral im Mutterhaus installierten Kommunikationsserver hängt ein eigens für diese Anwendung entwickeltes Gerät, das sofort, völlig selbsttätig und unterbrechungsfrei umschalten würde auf ganz normale (gebührenpflichtige) ISDN-Leitungen der Telekom. Schneider weiß, daß die Mitarbeiter das nicht einmal merken würden.

Denn tatsächlich schaltet dieses Gerät regelmäßig und immer häufiger ISDN-Wählleitungen auf das System - auch ohne Störungen im Netz. Die Erklärung ist einfach: Das bei der Telekom angemietete Festnetz ist so ausgelegt, daß es den Verkehr im Normalfall bewältigt. Aus Kostengründen wäre es unsinnig, eine Bandbreite vorzuhalten, die nur in extremen Spitzenzeiten ausgelastet würde. Überträgt nun zum Beispiel eine Redaktion ein riesiges Foto mit einigen Megabytes, so kann es zu einem Engpaß kommen. Und diesen überbrückt das System durch die kurzfristige Zuschaltung der Wählleitung.

Siemens hat im Blick auf die Sicherheit noch mehr getan: Falls auch dieser automatisch gesteuerte Sicherheits- und Überlastweg ausfallen sollte, steht ein weiteres Bündel von ISDN-Anschlüssen bereit, auf das die Anlage natürlich ebenfalls völlig automatisch umschalten kann.

Das Datenvolumen wächst - und das System wächst mit

Die Tatsache, daß der erste der beiden Sicherheitswege heute schon öfter in Anspruch genommen werden muß, weißt auf ein Problem hin: "Der Datenverkehr zwischen den Redaktionen und Geschäftsstellen wächst unaufhaltsam. Und wenn in einigen Monaten die Syker Kreiszeitung von jetzt 32 auf 48 Farbseiten gehen wird, steht der nächste Schub an", blickt Siemens-Techniker Walter Rieckemann nach vorne. Er ist vor Ort für das Funktionieren des Netzes zuständig. Seine langjährige Berufserfahrung ist sein Kapital, und so macht ihm die neue Herausforderung nicht im geringsten Angst: "Wir werden einfach das Netz aufbohren, das geht relativ leicht, weil wir konsequent von Anfang an auf herstellerneutrale Standards gesetzt haben. Das ganze System ist zukunftssicher!"

Organisationsleiter Stuckenschmidt nickt gleichmütig: "Bisher haben mich Herr Schneider und seine Kollegen noch nicht enttäuscht, im Gegenteil. Wir hatten in fünf Jahren keinen Ausfall des Systems. Weshalb sollte mir vor diesem neuen Schritt bange sein?"

© Günter Mallmann
November 1999