Guenter Mallmann – Fachjournalist im DJV

Die Heimtücke der Technik

Plädoyer für ein neues Human Interface

"Wieso blinkt der denn jetzt nach links?", stößt meine Frau ganz überrascht aus. Sie meint damit keineswegs irgend ein anderes Auto, sondern genau dasjenige, das sie eben gekauft hat und in dem sie gerade bei einer ersten Fahrt am Steuer sitzt.

Daraus gibt es zwei Ableitungen: Die Ingenieure, die dieses Auto gezeichnet haben, haben den Blinkerhebel wohl etwas zu dicht an das Lenkrad herangerückt und den Druckpunkt zu schwach gewählt. Folglich kann es schon mal passieren, dass man unbeabsichtigt bei einer Lenkbewegung den Hebel "mitnimmt". Kein riesiges Problem also und vielleicht schon im Nachfolgemodell des Wagens aus der Welt geschafft.

Die andere Ableitung allerdings ist gravierender und eigentlich erschreckend: Viele Menschen erleben ganz offenbar die hochkomplexe moderne Technik als von bösen, zumindest tückischen Geistern beseelt. Systeme, die ganz nach Lust und Laune Dinge machen, die genau das nicht sind, was der Anwender von ihnen im Augenblick erwartet. Kleine Dämonen mit einem übellaunigen Innenleben, das sich unserem Zugriff entzieht, beseelt von einem Geist, der nicht einmal entfernt Ähnlichkeit hat mit unserer Lebenserfahrung, mit den angeborenen und im Laufe des Lebens antrainierten Verhaltensmustern.

Und hier ist es nicht mit kleinen kosmetischen Modifikationen seitens der Hersteller getan, hier müssen die Ingenieure grundlegend umdenken. Hochtechnologie darf nicht nur für die elitäre Gruppe der Initiierten, der Techniker und Analytiker entwickelt werden, sondern muss sich den einfachen, natürlichen Denk- und Gefühlsstrukturen der Mehrheit der Menschen anpassen. Und die denken anders, assoziativ, situationsbezogen, kontextual.

"Was hat er denn jetzt wieder gemacht?", fragt meine Frau und legt ratlos ihren Handheld vor mich auf den Schreibtisch. Schon die Formulierung dieser Frage signalisiert, dass etwas passiert sein muss, was sie sich nur mit einer tückischen Eigenmächtigkeit des Gerätes erklären kann.

Was ist passiert? Meine Frau wollte in ihrer Adress-Datenbank eine neue Telefonnummer aufnehmen und konsequenterweise die alte löschen. Stattdessen hatte sie den ganzen Datensatz gelöscht. Und weil sie das nicht im Sinne des Programmierers gleich richtig erkannt hatte, die folgenden drei ebenfalls.

Ich habe Jahre gebraucht, um sie behutsam an Computer, Handheld und Mobiltelefon heran zu führen. Ich habe ihr immer wieder die Überlegenheit solcher Geräte handgreiflich demonstriert, ihr gezeigt, dass ein zerfleddertes handgeschriebenes Telefonverzeichnis nichts ist im Vergleich zu einem komfortablen elektronischen Medium. Ich habe ihr demonstriert, wie unvergleichlich toll es ist, sich an den Geburtstag einer Freundin per akustischem Signal erinnern zu lassen. Wie komfortabel es ist, einen Brief am Bildschirm zu entwerfen und so lange zu modifizieren, bis er in jeder Hinsicht unübertroffen ist. Ich habe ihr ein über das andere Mal bewiesen, welchen Gewinn an Lebensqualität es bedeutet, selbst während eines Waldspaziergangs telefonisch erreichbar zu sein. - und es ist mir gelungen, sie in kleinen Schritten mit diesen Techniken auszusöhnen, sie dahin zu bringen, sie zu benutzen.

Aber diese Geräte lohnen mir meine Mühe regelmäßig dadurch, dass sie sich völlig anders verhalten, als das ein intelligenter Mensch erwartet. "Sie machen Dinge", würde meine Frau formulieren, die der normalen Vernunft widersprechen, die einfach unvernünftig sind. Vielleicht, ach, sind diese Dinge ja logisch im Denken eines Programmierers, aber in der Gefühls- und Gedankenwelt eines normalen Menschen sind sie letztlich nur heimtückisch, hinterhältig, unfair, undurchschaubar.

"Dieses Handy will ich nicht, es lässt sich manchmal einfach nicht abschalten und hält die Verbindung, bis der Akku leer ist", schleudert mir meine Frau entgegen und knall mir das vor wenigen Tagen erworbene Gerät auf den Tisch. Tatsächlich, sie hat Recht. Ich rufe testweise mit ihrem Gerät meine eigene Nummer an und lege auf, als meine Anrufbeantworter-Ansage beginnt. Nichts tut sich, das Gerät hält die Verbindung, die teuren Gesprächsminuten tröpfeln vor sich hin. In meiner Not reiße ich den Akku raus. Der Hersteller gibt sich peinlich berührt und schickt mir umgehend ein neues Gerät. Aber auch dieses "verhält" sich genau so tückisch. Des Rätsels Lösung: Wenn man mehr als eine knappe Sekunde auf die "Gespräch-beenden-Taste" drückt, löst diese eine weitere, nirgendwo erklärte Funktion aus, die vielleicht für einen Spekulanten an der Frankfurter Börse ganz witzig sein könnte, nicht aber für einen normalen Menschen. Letzterer fühlt sich ausgeliefert, hilflos.

Normale Menschen: Immer noch, und wahrscheinlich noch für einige Jahrzehnte, sind die meisten Nutzer von High-tech alles andere als geborene Informatiker. Sondern Menschen, die mit einem Fundus an sozialen Erfahrungen durchs Leben gehen, die diese schlichten Erfahrungen in der Technik abgebildet sehen wollen. Die Grundmuster sind einfach. Wenn ich Herrn Meier freundlich grüße, grüßt er zurück. Wenn ich nach Mitternacht Trompete spiele, gibt es Ärger mit den Nachbarn. Wenn ich auf den Klingelknopf drücke und es rührt sich nichts, sind meine Freunde nicht zu Hause.

Selbst auf einer höheren, komplexeren Ebene ist es ähnlich. Wir können mit einem Bügeleisen, dem Telefon, dem Aufzug, der Schlagbohrmaschine umgehen. Wir haben das alles relativ mühelos gelernt, weil diese Handlungsabläufe für unsere Vorstellungskraft transparent und nachvollziehbar sind. Aber schon beim berühmten Fahrkartenautomaten beginnt die Undurchsichtigkeit. Ich will von hier zum Hauptbahnhof. Aber der Automat bietet mir einen A-, einen B- oder C-Fahrschein an - und dann eine Reihe von merkwürdig kryptischen "Sonderangeboten" wie einen Viererpack von A, B oder C oder ein Wochenend-Gruppenticket. Dabei will ich doch "nur" einen Fahrschein, mit dem ich zum Bahnhof komme. Und während ich mich durch die Bedienungsanleitung für das schlaue Gerät durchhangele, ist die nächste Tram schon abgefahren.

Wie lange wird es noch dauern, bis die Konstrukteure begreifen, dass die Anwender ganz bescheiden in ihren Anforderungen an die Technik sind? Von Computern wollen wir hier erst gar nicht reden...

© Günter Mallmann
März 2000