Guenter Mallmann – Fachjournalist im DJV

Schroffe Felsen und sanfter Tourismus

Das griechische Dorf Papingo im Epirus geht neue Wege - Die delikate Balance zwischen Tourismus und Naturpflege

Als in den USA ausgebildeter Hubschrauberpilot führte Jorgo Papaevangelou in Athen ein komfortables Leben. Aber Geld ist nicht alles. "Irgendwann spürt man, dass es daneben noch andere Werte gibt", lacht er und schiebt mir noch ein Stück selbstgebackenen Kuchen auf den Teller. Jorgo ist seit elf Jahren Besitzer eines klitzekleinen Hotels am Ende der Welt. Dort, wo gelegentlich noch ein Bär eine Ziege reißt und die Adler ihre Flugkünste vorführen.

Foto: Jorgo Papaevan Link: Vollbild

In Athen kurvte der Hubschrauberpilot Jorgo mit VIPs über die Skyline. Mit Freuden hat er sie gegen die des Astrakas getauscht.

Beim Blättern im Katalog des Reiseveranstalters Attika waren wir erstmals aufmerksam geworden auf das Dörfchen Papingo im nördlichen Epirus, kurz unterhalb der gebirgigen Grenze zu Albanien. "Da müssen wir auf der nächsten Reise unbedingt hin", waren wir uns einig. Und so sitzen wir jetzt zusammen mit Jorgo auf der großen Veranda vor dem Küchentrakt.

Vor uns geben die mit unglaublicher Geschwindigkeit hochziehenden Nebelschwaden den Blick auf die riesige Felswand des immerhin 2.500 Meter hohen Astrakas frei, oben in einem Sattel erkennen wir mit bloßem Auge ein Haus. "Die Hütte des griechischen Gebirgsvereins auf knapp 2.000 Metern Höhe", erklärt, unseren Blicken folgend, unser neuer Freund. Übermorgen werden wir dorthin aufbrechen, noch trauen wir uns die 900 Meter Höhendifferenz nicht zu.

Was hat unseren Helikopterpiloten dazu gebracht, sich in diesem gottverlassenen Gebirgsdörfchen ein Hotel mit einem Dutzend Zimmern zu bauen? Jorgo lacht gern und viel. So auch jetzt. Und dann wird er doch ganz ernsthaft: "Es war der Traum davon, einfach und im Einklang mit der Natur zu leben, die Jahreszeiten kommen und gehen zu spüren, mit Gleichgesinnten etwas aufzubauen, was wir, ohne uns schämen zu müssen, unseren Kindern hinterlassen können."

Foto: Flussbett Link: Vollbild

Selbst im Hochsommer führt der Voidomatis genug Wasser für Rafting. Im Hintergrund die Wand des Astrakas mit ihren 2.500 Metern Höhe.

Das Dorf war, wie die meisten der Gebirgssiedlungen in der "Zagora" genannten Region, fast schon ausgestorben, als vor rund 15 Jahren eine Art Roll-back begann. "Mein Vater, hier geboren, kam als einer der ersten zurück. Und dann kamen wir, die Generation der Kinder. Wir entdeckten die bizarre Schönheit dieses wilden Gebirges mit seinen tiefen Schluchten und reißenden Flüssen, seiner einzigartig reichen Flora und Fauna quasi neu und beschlossen, hier zu leben", erzählt Jorgo. Leben, aber wovon? Ja, das war es. Und die Antwort der jungen Rückwanderer war ziemlich einmütig: Von einer sanften Art des Tourismus. Keine Massenhotels, dafür die Individualität kleiner Herbergen. Keine Busladungen mit lärmenden Gruppen, sondern Einzeltouristen mit Gespür für und Hochachtung vor der Einzigartigkeit der Natur. 300 Betten und nicht mehr. "Natürlich", sagt Jorgo fast bedauernd, "kann man das nur über den Preis steuern", denn einigermaßen leben wollen auch die Rückwanderer. Ein Doppelzimmer bei Jorgo kostet deshalb auch mindestens 120 Mark pro Nacht (inklusive eines wahrlich fürstlichen Frühstücks).

Am nächsten Morgen steigen wir, mit Ratschlägen und handgezeichneten Skizzen von Jorgo versehen, hinunter ins Tal des Voidomatis. Wir folgen dem wild dahin strömenden Wasser auf einem schmalen Pfad bis zu einer Stelle, wo es uns zu gefährlich wird. Eine kleine Flotte von Schlauchbooten schießt über eine der Stromschnellen. Franzosen oder Belgier, wenn wir die Wortfetzen im Getöse des Wassers richtig verstehen.

Foto: Klosterglocke Link: Vollbild

Zitternd steht der Ton der kleinen Glocke über der Wildnis. Wie haben die orthodoxen Mönche hier in feindlicher Umwelt überleben können?

In einer Flussbiegung entdecken wir hoch über uns merkwürdige Mauerreste. Wir kämpfen uns durchs Unterholz und stehen vor einem halbverfallenen Kloster, an die Felsen geklebt wie ein Schwalbennest. Auf der Spitze eines Felsens hängt eine kleine Glocke unter einem uralten Steinplattendach. Wir bewegen den Klöppel. Der Klang steht zitternd über der schweigsamen Wildnis. Wir stellen uns vor, wie hier noch im letzten Jahrhundert orthodoxe Mönche gelebt haben müssen. In einem Umfeld von muslimischen Albanern, von slawischsprachigen Vlachen, von türkischen Besatzern. Wovon haben sie gelebt? Wie haben sie sich gegen die Unbill der Natur, gegen die Feindseligkeit der "anderen" gewehrt?

Tags drauf fahren wir mit dem Mietwagen von Papingo nach Mikro Papingo, dem noch kleineren Nachbarort. Wir wollen uns einige Kilometer auf dem Weg zur Berghütte am Astrakas sparen. Immer den roten Markierungen folgend, geht es bergan. Vor uns hören wir ein vielfältiges Geklimpere. Ziegenherden? Nein. Als wir die Baumgrenze hinter uns haben, sehen wir es: Vor uns zieht eine Maultierkarawane auf dem gleichen Weg nach oben. Die Hütte, vor Jahren durch Brandschatzung in Mitleidenschaft gezogen, wird erweitert und rekonstruiert. Wir haben Glück. Das Wetter, hier wahrlich wetterwendisch, ist stabil. Dafür ist es heiß, so heiß, dass wir, oben angekommen, nass sind wie nach einer Dusche. Jetzt noch einmal 90 Minuten bis zum sagenhaften Drachensee? Nein, das überfordert unsere Kraft. Der Drachensee, auf 2.050 Metern Höhe, gilt als eines der geologischen Phänomene der Gegend. Woher bezieht er sein Wasser? Wieso trocknete er nicht schon in erdgeschichtlicher Zeit aus? Wir wollen es im Detail nicht wissen und steigen ab.

Jorgo hat uns von einem einmaligen Platz erzählt. Eine Art Balkon über der Vikos-Schlucht. Laut Guiness ist es die tiefste, steilste, längste, schönste, .......der Welt. Die hatten wir bislang ganz naiv in Nordamerika vermutet. Wir fahren also nach Monodentri und weiter auf der Schotterpiste bis zum Parkplatz in der Nähe des Balkons. Eine meterdicke Brüstung schützt uns - und doch trauen wir uns kaum vor bis an ihren Rand. Der Blick 900 Meter fast senkrecht hinunter auf den Boden der Schlucht macht schwindlig. Wir stehen lange hier, folgen mit den Augen dem Schatten, der langsam über die Steilwände wandert, den Mauerseglern und Bussarden, die sich vom Aufwind tragen lassen. Kein Mensch stört uns in unserer Ergriffenheit. Erst später wird uns bewusst, dass dies einer der dichtesten Momente in langen Jahren war...

Jorgo blickt misstrauisch zum Himmel. Trotz der hochsommerlichen Wetterlage massieren sich die Regenwolken an der Wand des Astrakas. Wir beschließen, zunächst abzuwarten. Jorgo setzt sich gern zu uns und geht bereitwillig auf unsere Fragen ein. Wie wollen die jungen Hoteliers sicherstellen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen? Natürlich haben sie das schon geregelt: "Wir haben die alte Dorfschule renoviert und auf eigene Kosten eine Kindergärtnerin engagiert. Und in einigen Jahren werden wir dann eine Lehrerin einstellen." Und noch später? Auch das ist schon einvernehmlich besprochen: "Dann mieten wir in der Provinzhauptstadt Ioannina eine große Wohnung, und reihum wird dort eine der Mütter dieses kleine private Internat betreuen."

Für Jorgo und seine Freunde ist das alles schon Wirklichkeit. "Wir sind uns darin sicher, dass wir die Balance zwischen Tourismus und Naturschutz auf Dauer aufrecht erhalten können. Wir werden unseren Kindern ein intaktes Erbe hinterlassen - ohne ihnen auf der anderen Seite die Option auf ein Leben in der Stadt verbaut zu haben!" Und natürlich ist er sich so gut wie sicher, dass diese Kinder jene andere Option einmal nicht ergreifen werden. "Höchst wahrscheinlich werden sie nach Schule und Universität hierher zurück kommen", lacht er sein sympathisches Jungenlachen.

© Günter Mallmann
September 1999

Informationen zu Papingo

Anreise

per Flugzeug (Charter) nach Preveza, von hier mit Mietwagen nach Papingo. Entfernung: 165 km

Per Fähre über Venedig, Ancona oder Brindisi nach Igoumenitsa. Entfernung z.B. Düsseldorf - Ancona: 1380 km, Fähre, z.B. Minoan High Speed (ganz neue, sehr schnelle Schiffe mit bemerkenswertem Komfort!) Ancona - Igoumenitsa in 15 Stunden, von da noch 120 km über eine teilweise traumhaft schöne Gebirgsroute. Reservierung: Seetours, Tel.: 069-1333267

Unterkunft

Hotels in Papingo, z.B. Jorgo Papaevangelou, DZ ab DM 120, Tel.: 0030-653-41135, Dias (Mikro Papingo), DZ ab DM 100, Tel.: 0030-653-41257

Veranstalter

Attika Reisen bietet eine Kombination aus Ferien in Papingo und Orten an der ionischen See. Tel.: 089-54555-100